Mittwoch, 21. Mai 2008

Beginn einer Predigt von Pfarrer Josef Mohr zum Thema Kreuzverhüllung


“Der Brauch, die Kreuze (und Bilder) zu verhüllen, soll beibehalten werden…” so heißt es lapidar im Meßbuch in einer Anweisung zum 5. Fastensonntag, den wir früher Passionssonntag nannten. Was steckt dahinter, daß die Kirche in den letzten beiden Wochen der österlichen Bußzeit ihre Kreuze mit einem violetten Tuch verhüllt, um schließlich am Karfreitag eine feierliche Kreuzenthüllung vorzunehmen? Nun: Ursprünglich waren es Triumphkreuze, die man verhüllte. Sie zeigten Jesus als König am Kreuz und umgaben ihn mit kostbaren Edelsteinen. Das aber störte sozusagen, wenn man seines bitteren Leidens und Sterbens gedenken wollte. Aber auch die späteren, ganz und gar drastischen Darstellungen des Gekreuzigten sollten für eine Weile dem Blick der Gläubigen entzogen werden, weil fromme Sehgewohnheiten sie womöglich entschärfen und zum bloßen Andachtsgegenstand verharmlosen könnten. Der Brauch der Kreuzverhüllung erfährt jedoch noch eine tiefere Bedeutung, wenn wir an die Verpackungs- und Verhüllungskunst des Künstlerpaares Christo Juracheff und Jeanne Claude denken.

Wir erinnern uns: Im Jahre 1995 haben sie in Berlin das gesamte Reichstagsgebäude mit einer silberglänzenden Folie verhüllt. Dieses Werk der “Verpackungskünstler” wurde von der Bevölkerung teils mit Begeisterung, teils mit Ablehnung und Kopfschütteln aufgenommen. Christo und Claude gehören der Künstlergruppe der “Neorealisten” an. Sie versuchen, mit der Technik des Verhüllens auf Dinge aufmerksam zu machen, die sonst übersehen werden oder in Vergessenheit geraten. Es geht ihnen um ein neues Einüben der Wahrnehmung, um ein Hinlenken und Fokussieren der Aufmerksamkeit auf Dinge, an deren Anblick wir uns gewöhnt haben. Durch Verbergen wollen sie gleichsam auf das Wesentliche hinweisen, das sozusagen nur noch verhüllt sichtbar wird. Man könnte es ganz paradox auch so ausdrücken: Verhülltes sieht man besser! Durch Verhüllung wird Unsichtbares, Übersehenes, Gewohntes neu entdeckt und ins Bewußtsein gehoben.

Quelle: Predigten von Pfarrer Josef Mohr

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