Kritik am Amtsgerichtsurteil
Im folgenden schildere ich kurz den Verlauf der Gerichtssitzung vom
12.02.2010 und gehe dann auf die schriftliche Urteilsbegründung ein.
Die Richterin am Amtsgericht Langen Kirsten Prass kam mit
achtminütiger Verspätung zu der auf 15 Minuten angesetzten Sitzung, zu
der sehr viele interessierte Bürger gekommen waren (der Sitzungsaal
reichte für das Publikum, darunter übrigens auch der Langener
Amtsgerichtspräsident Volker Horn, gerade aus). Als erstes wies
Richterin Prass die anwesenden Fernseh- und Presseleute an, ihre Kameras
auszuschalten. Mit der Sitzungseröffnung stellte sie die Anwesenheit
der widerstreitenden Parteien fest. Unmittelbar darauf stellte der
Beklagtenanwalt Michael Gensert, der auch als Vorsitzender der
Rödermärker CDU-Fraktion fungiert, den Antrag, die Klage erst gar nicht
zuzulassen, mit der Begründung, daß das in Hessen seiner Meinung nach in
diesem Fall vorgeschriebene Schiedsgerichtverfahren nicht fristgerecht
durchgeführt worden sei. Die Richterin reagierte prompt mit den Worten,
das sei vom Tisch, das spiele hier keine Rolle mehr. “Sie sind die
Chefin”, lenkte Gensert schmunzelnd ein.
Danach nahm Prass Bezug auf den Streitfall und sprach dabei von dem
Kreuz immer nur von einem “Holzelement”; diesen Ausdruck benutzte sie
insgesamt, wie ich mitgezählt habe, achtmal. Unter den Zuhörern befand
sich inmitten der Anhängerschar der Kreuzschänder Urberachs katholischer
Pfarrer Klaus Gäbler, der sich zu keiner Zeit auf den Plan gerufen
fühlte, hier für das Kreuz einzutreten, womit er sich für mich endgültig
als Gottesmann disqualifiziert hatte.
Im Stakkadostil trug die Richterin ihre vorgefertigt anmutende
Beurteilung des Falles vor. Sie bezeichnete die Scheunenkreuzwand
mehrfach als Grenzwand und damit wurde deutlich, daß sie von einer
falschen Grundlage ausging. Mein Rechtsantwalt Hubert Ley versuchte
klarzustellen, daß es sich bei dieser Wand nicht um eine Grenzwand
handele, das heißt daß die Wand nicht direkt auf der Grundstücksgrenze
steht (womit sich automatisch auch der Strafbestand des
Hausfreidensbruchs ergibt). Prass würgte diesen Einwand mit dem
apodiktischen Ausspruch: “Hier handelt es sich um eine Grenzwand” ab,
den auch der Beklagtenanwalt unterstützend wiederholte.
Spätestens jetzt wurde deutlich, wie die Richterin urteilen würde,
und mein Anwalt stellte vorsorglich noch schnell einen Hilfsantrag, die
Beklagten zur Zustimmung zur Wiederanbringung des Kreuzes zu
verpflichten.
Mir erschien das ganze wie eine Farce und ich versuchte meinerseits
zu erläutern, daß und warum es sich hier nicht um eine Grenzwand
handelt, wurde aber von der Vorsitzenden Prass abgewürgt mit den Worten:
“Es ist zu spät, ich habe die Verhandlung soeben geschlossen.” Eine
Verhandlung, die für mich keine Verhandlung war: In den knapp acht
Minuten wurde nichts verhandelt, sondern nur verfahren. Denn weder mein
Rechtsanwalt noch ich selbst hatten die Möglichkeit, zum Sachverhalt
überhaupt Stellung zu nehmen. “Bitte verlassen Sie den Saal” war der
Richterin letztes Wort. Die Saaltür öffnete sich, und schon drängten die
nachfolgend Rechtssuchenden in den Sitzungssaal.
Gut zwei Wochen später erreichte uns die
schriftliche Urteilsbegründung, die auch in voller Länge hier auf diesem Blog dokumentiert ist.
Ich greife nun einige Punkte aus diesem Schriftsatz heraus, um deutlich zu machen, warum für mich hier Unrecht gesprochen wurde.
In der Urteilsbegründung wird behauptet, daß ich das Kreuz
rechtswidrig angebracht hätte und daß deshalb das eigenmächtige Absägen
des Kreuzes durch den Nachbarn legitim sei. Im Wortlaut der
Urteilsbegründung:
„Zwar haben die Beklagten das an der Giebelwand
befindliche Holzelement eigenmächtig entfernt. Allerdings hatte der
Kläger selbst rechtswidrig gehandelt, als er im Mai 2008 die zum
Grundstück der Beklagten zeigende Giebelwand gestaltete, ohne um die
Zustimmung der Beklagten zu ersuchen.“
Halten wir fest: Die Beklagten haben also laut Urteilsschrift mit dem
Absägen des Kreuzes „zwar“ eigenmächtig (Selbstjustiz) gehandelt, diese
Selbstjustiz und diese Sachbeschädigung und dieser Hausfriedensbruch
(?) wird dann aber im nächsten Satz damit legitimiert, daß ich ja das
Kreuz rechtswidrig angebracht hätte.
Hierzu ist zu bemerken: Das Kreuz hing ein ganzes Jahr lang, nämlich
vom 15. Mai 2008 bis zur Müllerschen Absägeaktion am 3. April 2009, an
der Scheunenwand. Die Nachbarn hatten es nicht nur bereits 24 Stunden
nach seiner Anbringung mit einer Bauplane verhüllt, sondern hatten auch
Rechtsanwalt Michael Gensert damit beauftragt, juristisch gegen das
Kreuz an der Scheunenwand vorzugehen. Wenn nun Richterin Prass
behauptet, die Kreuzanbringung sei rechtswidrig, stellt sich natürlich
die Frage: Warum war Gensert dann in seinen juristischen Bemühungen so
erfolglos. Ein Jahr lang hing also „rechtswidrig“ ein Kreuz an der
Scheunenwand. Wie durch Presseartikel dokumentiert ist, war Rechtsanwalt
Gensert bereits seit Juni 2008 mit dem Müllerschen Auftrag unterwegs,
die Entfernung des Kreuzes auf dem Rechtswege zu erwirken. Er hatte also
10 Monate Zeit, aber wirklich auf den Weg gebracht hatte er nichts,
jedenfalls nicht auf den Rechtsweg, so hatte er keine Klage erhoben,
obwohl doch, wie die Richterin Prass meint, das Kreuz rechtswidrig
angebracht worden sei. Wenn doch das Kreuz rechtswidrig an meiner
Scheunenwand hing, hätte doch eine Klageerhebung alle Chancen auf Erfolg
haben müssen. Statt dessen entschied sich die Gegenseite für den kurzen
Prozeß, der jetzt von Richterin Prass abgesegnet wird. Ein
unglaubliches Signal hinaus ins Land an alle, die bislang noch vor
Selbstjustiz, Hausfriedensbruch und Zerstörung fremden Eigentums
zurückgeschreckt sind. In diesem Zusammenhang paßt übrigens, daß der
Vater von Rechtsanwalt Gensert, wie mir aus sicherer Quelle zugetragen
wurde, Monate bevor das Kreuz abgesägt worden war, auf einer
CDU-Wahlveranstaltung am Biertisch vollmundig bekundete: „Wenn’s mein
Hof wär, dann hätt’ ich’s längst runtergerissen.“
Die Urteilsschrift begründet die Rechtswidrigkeit der Kreuzanbringung
damit, daß ich den Nachbarn vor der Anbringung des Kreuzes nicht um
dessen Zustimmung ersucht hätte. Dann wäre aber auch die vom Nachbarn
ausgeführte Verhüllung des Kreuzes (geschweige denn das später dann
erfolgte heimtückische Absägen des Kreuzes) gleichermaßen rechtswidrig,
also die Aufstellung eines Baugerüsts direkt auf der Grundstücksgrenze
mit dem alleinigen Zweck, daran eine großflächige Bauplane anzubringen,
um damit die von mir gewünschte Ansicht meiner Scheunenwand monatelang
eklatant zu entstellen. Denn Nachbar Müller hatte bei mir nicht um
Zustimmung für diese direkt an der Grundstücksgrenze vorgenommene
Verunstaltung der Optik meiner Wand ersucht.
Weiter heißt es in der Urteilsbegründung, ich hätte mir, als ich
zusammen mit zwei Freunden das Kreuz an der Scheunenwand anbrachte, den
Zugang zum Nachbarschaftsgrundstück erschlichen. Ich hätte ihnen
vorgelogen, Reparaturarbeiten an meiner Scheunenwand ausführen zu
wollen. Richtig ist: Im Abstand von ungefähr je einer Woche, klingelte
ich insgesamt dreimal am Müllerschen Hoftor. Immer wurde nur ein Fenster
geöffnet und ich wurde mit der Formel „Was ist?“ begrüßt. Ich sagte
jedes Mal nur, daß ich etwas an meiner Wand zu tun hätte und daher ihren
Hof betreten müßte und fragte, wann das möglich wäre. Die schroffe
Antwort war bei den ersten beiden Malen nur: „Heut’ nicht!“ Erst beim
dritten Anlauf, am Donnerstagmorgen, den 15 Mai 2008, erlaubten sie mir
den Zutritt für fünf Uhr nachmittags. Zu keiner Zeit habe ich
irgendwelche Angaben darüber gemacht, was genau ich an meiner Wand zu
tun hätte, und wurde von den Müllers auch nie danach gefragt. Auch lasse
ich mir hier keinen Argwohn unterstellen. Um 17 Uhr öffneten uns Hans
und Helga Müller das Hoftor. Mit zwei großen Leitern, diversen
Werkzeugen und einer Kreuzschablone in der Größe des Originalkreuzes zur
Anzeichnung der Bohrlöcher in Händen betraten wir den Hof. Die Müllers
erweckten nicht den Anschein, als ob sie sich sonderlich dafür
interessierten, was genau wir vorhatten, denn sie gingen dann gleich ins
Haus und schlossen die Haustür hinter sich zu.
Weiterhin wird in der Urteilsschrift behauptet, bei der
Scheunenkreuzwand handele es sich um eine Grenzwand, also eine Wand, die
unmittelbar an das Nachbarschaftsgrundstück angrenzen würde. Hier muß
ich der Richterin vorwerfen, daß sie allem Anschein nach die
Gerichtsakte nicht eingehend studiert hatte. Denn in ihren Akten befand
sich eine beglaubigte Abschrift vom Amt für Bodenmanagement in
Heppenheim, woraus deutlich ersichtlich ist, daß die Scheune, auch zum
Müllerschen Grundstück hin, von einem Dachtraufrecht umgeben ist. Das
heißt ein circa 20 cm breiter umlaufender Geländestreifen jenseits der
Wand gehört noch zu meinem Grundstück. Diese Rechtslage wird zudem durch
zwei Tatsachen unumstößlich bestätigt: Eine Gartenhütte, die Müller
direkt an die Scheunenwand angebaut hatte, musste im Jahr 2006 auf
Betreiben der Bauaufsichtsbehörde in Dietzenbach aus just diesem Grunde
wieder entfernt werden. Zum zweiten befindet sich auf der
Scheunenrückwand eine Schlupftür, die den Zugang auf den zu meinem
Grundstück gehörenden Dachtraufstreifen zwischen der Müllerschen Garage
und der rückwärtigen Scheunenwand ermöglicht. Eine solche Schlupftür
müßte bei einer Grenzbebauung sofort zugemauert werden.
Um ihre Behauptung zu unterstützen, daß es sich hier um eine
Grenzwand handele, beruft sich Richterin Prass auf nichts weiter als die
Inaugenscheinnahme eines Lichtbildes und erklärt, zwischen der Scheune
und der Müllerschen Garage sei kein Dachtraufrecht zu erkennen, da die
Garage direkt an die Scheunenwand angebaut sei, ergo sei die
Scheunenkreuzwand (die Scheunengiebelwand) auch eine Grenzwand. Im
Wortlaut der schriftlichen Urteilsbegründung:
„Aus den vom Kläger selbst als Anlage zur Klageschrift zu
den Akten gereichten Lichtbildern (insbesondere Bl. 13 d.A.) ist
erkennbar, dass unmittelbar an die Scheune des Klägers ein Gebäude
angebaut wurde, welches auf dem Beklagtengrundstück steht. Daraus kann
aber nur geschlossen werden, dass die Scheunenwand direkt an der Grenze
errichtet ist.“
Hier irrt Kirsten Prass in zweifacher Hinsicht. Erstens: Selbst wenn
an der Längsseite der Scheune kein Dachtraufrecht läge, kann daraus
nicht automatisch der Schluß gezogen werden, daß das auch bei anderen
Seiten des Gebäudes so der Fall sei. Zweitens urteilt hier die Richterin
auf bloßen Augenschein eines Lichtbildes hin, welches in der fraglichen
Hinsicht überhaupt keine Beweiskraft besitzt, denn auf dem Foto kann
man den zum Dachtraufrecht gehörenden Geländestreifen zwischen Scheune
und Garage nicht einsehen, weil der Zugang zu diesem Grundstückstreifen
vermauert ist.
All diese Einwände hätte ich gerne im Laufe einer Gerichtsverhandlung
zur Sprache gebracht. Doch was ich hier erleben mußte, hat meinen
bisher tief verankerten Glauben an unseren Rechtsstaat erschüttert. Denn
ich habe die Klage mit der Erwartung eingereicht, daß hier eine faire,
unparteiische Verhandlung geführt wird, in der die Sichtweisen und
Argumente aller am Prozeß Beteiligten wirklich angehört und objektiv
gegeneinander abgewogen werden. Hiervon konnte leider keine Rede sein.
Beurteilt nach schulischem Benotungssystem: Eine glatte Sechs.
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Auf dem Vorgängerblog "www.scheunenkreuz.de" wurde hierzu folgender Kommentar gepostet:
Heinrich Drager schrieb am 15. Okt. 2010
Worüber der Laie immer irrt: In der Verhandlung wird nicht mehr viel
besprochen, denn dann würde jede Verhandlung Stunden dauern. Die
Verhandlung wird durch die Schriftsätze der Anwälte vorbereitet, und
wenn hier noch etwas unklar ist, wird darüber mit den Parteien
gesprochen. Die Verhandlung ist nicht dazu da, dass die Parteien nochmal
sagen, was sie für Recht und Richtig halten.