Sonntag, 15. Juni 2008

Das Kreuz mit dem Scheunenkreuz


Bericht der Frankfurter Neue Presse vom 14.06.2008:

Das Kreuz mit dem Scheunenkreuz


Stein des Anstoßes: Das noch unverhüllte Scheunenkreuz, über das Familie Müller inzwischen eine Plane gehängt hat. Foto: Lemke


Kreis Offenbach. Seit rund drei Wochen ist im ehemaligen Töpferviertel von Rödermark-Urberach ein 1,40 mal 1 Meter großes Eichenkreuz Gegenstand des Spottes, der Zustimmung und der Verwunderung ob der Frage, wo das alte christliche Symbol hängen darf und wo nicht. An der Ecke Bachgasse/Erbsengasse ist gut zu sehen, worum es genau geht.

Von hier aus hat der Spaziergänger Einblick in den Hof der Familie Müller, Bachgasse 15, an deren Grundstück die Scheune von Klaus Braungart, Bachgasse 11, hineinragt. Vor der Wand der weiß verputzten Scheune steht ein Baugerüst. Daran ist in etwa sechs Metern Höhe eine Plane gespannt, mit der Hans Müller das Eichenkreuz verhüllt, das dort seit dem 21. Mai in der Wand verankert ist.

Nach drei Jahren Renovierung der alten Scheune, die Braungart 2005 zum übrigen Grundstück dazukaufte, gehört das Eichenkreuz zum Sanierungsprojekt seiner alten Hofreite dazu. „Es ist ein starkes Symbol unserer Herkunft, unserer Vergangenheit und vielleicht auch unserer Zukunft“, sagt Braungart. Nach seiner Verankerung an der Westwand war das Kreuz aber nur 28 Stunden zu sehen. Dann spannte Müller die grüne Plastikplane davor. Seitdem ist von einem ist von einem Nachbarschaftsstreit die Rede, der die Geister und Gemüter mobilisiert.

Die Presse macht sich bisweilen eine belustigende Aufgabe daraus, den Lesern gegenüber den Streit um das Scheunenkreuz als possierliche Nachbarschaftsfehde vorzuführen. Aus Familie Müllers Perspektive ist das verständlich. Sie fühlt sich provoziert, baut einen Sichtschutz und schaltet einen Anwalt ein. Öffentlich Stellung nehmen, das wollen die Müllers aber nicht: „Ich will einfach nur noch meine Ruhe haben. Reden Sie mit meinem Anwalt Michael Gensert“, sagt Helga Müller am Telefon.

Der bemüht sich für seine Mandanten um eine Beseitigung des Kreuzes und beruft sich auf das gesetzliche Verunstaltungs-Gebot: „Die juristische Anspruchsgrundlage ist zwar schwierig, weil das Scheunenkreuz baurechtlich an sich kein Problem darstellt, aber es gibt so etwas wie eine negative Religionsfreiheit.“

Familie Müller hätte ein Recht darauf, in ihrem Garten zu sitzen, ohne auf das Kreuz schauen zu müssen, auch als Christen. Die Sekretärin des katholischen Pfarramts Urberach, Andrea Witzel, erklärt der Frankfurter Neuen Presse gegenüber, das Pfarramt halte sich da raus, da das allein ein Nachbarschaftsstreit sei. Die Pfarrei gehe der Streit um das Scheunenkreuz nichts an.

Für andere ist das aber eine Ausrede, denn das Kreuz sei schließlich Symbol des christlichen Glaubens. Der Theologe und Künstler Thomas Ruhl aus Ober-Roden sieht das Pfarramt in der Pflicht einzuschreiten: „Das Scheunenkreuz ist eine politische und kirchliche Angelegenheit, bei der die Pfarrei keine neutrale Position einnehmen kann.“ Obwohl Ruhl weder mit Braungart noch mit Müller gesprochen hat und deren genauen Motive kennt, ist er sich aus den Darstellungen in den Zeitungen sicher, das Kreuz würde von beiden benutzt, um sich gegenseitig zu bekämpfen. „Ein Kreuz an einer Scheunenwand? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das etwas anderes sein soll als eine Provokation“, begründet er seine Position.

Pfarrer Elmar Jung aus der katholischen Nachbargemeinde St. Nazarius sieht das ähnlich. Zwar kenne auch er die Gründe nicht, weshalb Braungart das Kreuz an der Westfront verankert hat und auch nicht, weshalb Müller das Kreuz verhüllte. Im Ergebnis aber stelle sich die Situation als ein unverständlicher Nachbarschaftskonflikt dar, der an dem Kreuz seinen Höhepunkt finde. „Sollte es den Beteiligten lediglich um das Ärgern des anderen gehen und nicht um eine innere Haltung, dann wäre es ein Missbrauch des Symbols.“ Das Kreuz sei ein starkes Symbol christlicher Kultur, das niemand ignorieren könne – auch das Pfarramt in Urberach nicht. Passend zum Thema stellt Ruhl heute, Samstag, während des Markttages in Ober-Roden Kreuzskulpturen aus. Die Ausstellung ist von 10 bis 20 Uhr auf dem Gelände der Fahrradwerkstadt Gotta, in der Heitkämperstraße 4. (lem)

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Frankfurter Neue Presse

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